Donnerstag, 3. Dezember 2009

Skills 2

Wenn mich eine Erinnerung an eine Missbrauchssituation und/oder ein Gefühl überflutet (oft ja gerne nur irgendetwas nebensächliches und alltägliches ausgelöst) versuche ich erstmal die Realität zu klären:

wo bin ich (ich sitze hier in meiner Wohnung in XYZ)
wer ist noch hier (niemand oder ein Freund/Therapeut - je nachdem wer halt grade da ist)
welches Jahr/Datum haben wir heute (wir haben das Jahr 2009)

also erstmal ein zeitliches und räumliches orientieren - sehr hilfreich (aber auch schwer), wenn man gefühlsmäßig grade im Jahr 1980 und in einer Situation mit einem Täter ist.

Dann geht es weiter:

Ich sitze auf einem Stuhl, spüre die Sitzfläche unter mir, die Lehne im Rücken, den Boden unter den Füßen, wenn die nur mit den Zehenspitzen aufliegen, setze ich die Füße richtig auf, versuche fest aufzutreten, auf der Sohle das Gewicht hin und her zu verlagern, mich auch nochmal fester und stabiler in den Stuhl zu setzen und das alles wirklich nachzufühlen.

Weiter geht es dann mit der nächsten Umgebung: was sehe ich alles um mich herum: ich sehe den Tisch der vor mir steht, den anderen Stuhl, mit seinen 4 Stuhlbeinen, sehe auf dem Tisch den blauen Stift liegen, den kariertem Block und das Glas, das noch Reste des Wassers enthält usw. - also alles möglichst detailliert.

Diese Aufmerksamkeitsübung bringt einen zurück in die Realität und ins "hier und jetzt"

Dann arbeite ich auch oft mit der Atmung - vor allem mit bewusstem Ausatmen, in die Arme/Beine "atmen" oder aufstehen und dann den Atem durch den Körper und durch die Füße in den Boden leiten (und damit den ganzen Mist gleich mit raus) usw. Das Ausatmen ist da für mich deutlich wichtiger (und in der Situation auch schwerer) als das einatmen.

Viele Menschen brauchen zum durchbrechen der Flashbacks "härtere" Skills wie das Beissen auf eine Peperoni, ein scharfer Kaugummi, das Riechen an einem sehr intensiven Geruch oder ähnliches.

Wenn man dann erstmal wieder im "hier und jetzt" ist, geht es darum dort zu bleiben - denn nicht selten sind die Erinnerungen so hartnäckig, dass, sobald die Konzentration auf was anderes nachlässt, die gleich wieder neu fluten.

Für mich verwende ich da Dinge die mich ablenken: lesen, Hörbücher, Sport, Fernsehen (ich habe auf dem DVD-Rekorder in der Regel best. Serien, die ich dann speziell zu solchen Anlässen ansehe - das können Sitcoms sein - da man sich da nicht sehr konzentrieren muss um mitzukommen, Familienserien - ich achte darauf, dass dort keine Themen aufgegriffen werden, die schwierig werden könnten, deshalb kommen Krimis z.Bsp nicht in Frage für mich), ich mach mir etwas leckeres zu Essen/Trinken, rufe einen Freund an oder sperre die Welt aus - also kein Telefon, kein Computer, kein Fernseher, nur ein gutes Buch/Hörbuch oder Entspannungsübungen und mich in einer Ecke verkriechen - mich einmummln und mir nur Gutes tun - also absolut kein "muss").

Und sobald wieder das Gefühl oder die Erinnerung da ist: ein Stopp (das ich mir laut sage!) und dann wieder von vorne: wo bin ich, wer ist noch hier usw usf. Das kann ziemlich lange in Endlosschleife laufen, da bleibt nur "durchhalten" und hoffen dass die Kraft reicht.

Jeder muss da für sich heraus finden, was für einen hilfreich ist und eben auch in dieser Ausnahmesituation funktioniert. Für mich kann ich nur sagen: ich musste mir jeden einzelnen Skill hart erarbeiten, ihn unzählige Male im Alltag, in normalen Situationen, guten Zeiten einsetzen, ausprobieren, anpassen und dann nach und nach in schwierigeren Situationen erproben.

Es war eine langwierige und harte Arbeit, die Konsequenz und Durchhaltevermögen erforderte - aber es hat sich gelohnt.

Hier steht was zum Skillstraining - denn für uns Betroffene ist das nicht so einfach und harte Arbeit:

Teil 1
Teil 2
Teil 3

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